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Stadt Wil SG
03.11.2025
07.11.2025 10:17 Uhr

Was zählt, wenn Märkte schwanken

Von links nach rechts: Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft, Raffael Eigenmann, Leiter Anlagekundenberatung der Raiffeisenbank Wil und Umgebung, und Christoph Kuhn, Gruppenleiter Vermögensverwaltung bei Raiffeisen Schweiz. Bild: Wil24
Die weltweiten Finanzmärkte zeigen sich auch im Herbst 2025 erstaunlich widerstandsfähig – trotz hoher geopolitischer Unsicherheit, einer veränderten Zinspolitik und anhaltender Spannungen im Welthandel. Am Anlegeranlass der Raiffeisenbank Wil und Umgebung vom Montagabend diskutierten Fachreferenten, wie Anlegerinnen und Anleger in einem komplexen Umfeld Chancen nutzen, Risiken kontrollieren und ihr Vermögen strategisch steuern können.

In seiner Begrüssung zog Beat Bollinger, Vorsitzender der Bankleitung, einen Vergleich aus der Praxis: Gleichgewicht sei nicht nur im Sport entscheidend, sondern auch in der Führung und an den Finanzmärkten.
„Ob beim Einzelsport, im Mannschaftsspiel oder im Management – es geht immer um Balance: Menschen zu fordern und gleichzeitig das richtige Mass zu finden“, sagte Bollinger. „Auch die Finanzmärkte suchen ständig nach Gleichgewicht. Sind sie noch in Balance? Gilt das auch für den Goldpreis oder für die Zölle von Donald Trump?“ Fragen, die Anlegerinnen und Anleger derzeit weltweit beschäftigen.

Globale Unsicherheit – und dennoch stabile Märkte

Der Rückblick zeigte: 2025 war ein Jahr der Gegensätze. Nach einem starken Jahresauftakt sorgten neue US-Zölle im Frühling für einen spürbaren Kurseinbruch, der sich jedoch rasch korrigierte. Ein Zeichen dafür, wie anpassungsfähig die Märkte geworden sind.
„Die Märkte haben gelernt, mit Unsicherheit zu leben“, erklärte Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft. „Unternehmen reagieren heute schneller, diversifizieren ihre Lieferketten, investieren in Technologie und Nachhaltigkeit – das stabilisiert die Börsenentwicklung.“

Keine Rezession in Sicht

Trotz geopolitischer Spannungen – von Handelskonflikten über Energiepolitik bis zu Währungsinterventionen – blieb der Schweizer Finanzplatz bemerkenswert robust. Die Wirtschaft liegt unter ihrem Potenzial, jedoch ohne Anzeichen einer Rezession. Die Konjunktur in Europa wächst um rund ein Prozent, was einem moderaten, aber stabilen Tempo entspricht.In den USA und in China zeigt sich eine konjunkturelle Abschwächung, doch die Zentralbanken agieren umsichtig: Viele Länder bewegen sich geldpolitisch zwischen Zinssenkung und Stabilisierung.

Schein und Sein am Aktienmarkt

Mit über zehn Prozent Kurszuwachs entwickelte sich der Schweizer Aktienmarkt 2025 überdurchschnittlich. Doch Geissbühler warnte vor Fehlinterpretationen: „Der Aktienmarkt spiegelt nicht die gesamte Wirtschaft wider. Während exportorientierte Unternehmen wie Richemont oder Swatch Group unter Handelsbarrieren leiden, profitieren Banken, Versicherungen und Dienstleister von stabiler Nachfrage, robusten Margen und geringerer Abhängigkeit vom Welthandel.“ Der starke Franken dämpft zwar die Exportaussichten, wirkt aber gleichzeitig als Inflationsschutz und stärkt die reale Kaufkraft im Inland – ein klassischer Schweizer Widerspruch, der sich auch in diesem Jahr fortsetzt.

Der Anlagekompass: Qualität, Diversifikation, Sachwerte

Angesichts globaler Unsicherheit bleibt Kapitalanlage anspruchsvoll. In der Schweiz herrscht weiterhin ein gewisser Anlagenotstand: Staatsanleihen rentieren zwar wieder leicht positiv, doch real – also inflationsbereinigt – liegen sie im negativen Bereich. Sparkonten verlieren so weiter an Kaufkraft. Entsprechend rücken dividendenstarke Qualitätsaktien, Immobilienfonds und breit diversifizierte Sachwertstrategien in den Fokus. Geissbühler zitierte den Börsenaltmeister André Kostolany: „Kurzfristig kann es riskant sein, in Aktien zu investieren. Langfristig ist es riskanter, es nicht zu tun.“ Sachwerte – von Immobilien über Infrastruktur bis zu erneuerbarer Energie – gewinnen als stabilisierende Portfolioanker an Bedeutung. Entscheidend bleibt die Streuung: geografisch, sektoral und währungsmässig.

Drei Mythen, drei Lektionen

Raffael Eigenmann, Leiter Anlagekundenberatung der Raiffeisenbank Wil und Umgebung, räumte mit verbreiteten Anlageirrtümern auf und belegte seine Aussagen mit eindrücklichen Zahlen:

  • Mythos 1: „Das Sparkonto reicht.“
    Wer 1925 hundert Franken auf dem Sparkonto deponierte, besitzt heute – inflationsbereinigt – rund 140 Franken. Wer dasselbe Kapital in den Schweizer Aktienmarkt investierte, verfügt heute über 22’000 Franken. Selbst ein ausgewogenes Portfolio (50 % Aktien, 50 % Obligationen) brachte rund 6’000 Franken. Der Zinseszinseffekt bleibt über Jahrzehnte der wichtigste Vermögenshebel (Quelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook).
  • Mythos 2: „Abwarten ist besser als investieren.“
    Zeit ist der entscheidende Faktor. Wer dauerhaft investiert bleibt, profitiert auch nach Krisen. Schon wenige verpasste Börsentage können die Gesamtrendite halbieren. Kurzfristige Rückschläge sind unvermeidbar – langfristiges Investieren ist dagegen die sicherste Strategie zum Vermögensaufbau.
  • Mythos 3: „Alles auf eine Karte setzen.“
    Eigenmann betonte, dass nicht einzelne Titel über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, sondern die Anlagestrategie. Studien zeigen: Rund 80 % der Renditevariabilität werden durch die strategische Asset-Allokation erklärt – also durch die langfristige Struktur des Portfolios, nicht durch kurzfristige Marktentscheidungen. „Wir begleiten unsere Kundinnen und Kunden mit einer klaren Strategie – und mit Gespür für ihre persönlichen Ziele“, so Eigenmann.

Professionelle Vermögensverwaltung – Struktur schafft Sicherheit

Christoph Kuhn, Gruppenleiter Vermögensverwaltung bei Raiffeisen Schweiz, hob hervor, dass Anlegerinnen und Anleger heute mehr denn je Struktur und Transparenz erwarten. „Das Vermögensverwaltungsmandat von Raiffeisen bietet beides – kombiniert mit aktivem Rebalancing und taktischer Allokation“, erklärte er. Je nach Präferenz stehen unterschiedliche Strategien zur Wahl:

  • Global diversifiziert – für breite Risikostreuung
  • Nachhaltig – unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer und Governance-Kriterien (ESG)
  • Schweizfokussiert – für Stabilität und Währungsnähe

Ziel bleibt stets, in jeder Marktphase handlungsfähig zu bleiben und Chancen gezielt zu nutzen.
Die Anlagephilosophie von Raiffeisen folgt sechs Grundsätzen:

  1. Vorsichtsprinzip
  2. Diversifikation
  3. Unabhängigkeit
  4. Liquidität
  5. Transparenz
  6. Nachhaltigkeit

Eine laufende Überwachung und regelmässige Rebalancings sichern die Einhaltung der Strategie – und führten 2025 zu einer soliden Performance bei moderatem Risiko.

Wissen teilen, Vertrauen schaffen

Nach der abschliessenden Fragerunde nutzten die zahlreichen Gäste den Apéro riche, um sich persönlich auszutauschen.
Raffael Eigenmann zog ein positives Fazit: „Der grosse Andrang zeigt, wie wichtig Orientierung in unruhigen Zeiten ist. Wir wollen mit solchen Anlässen Wissen vermitteln – und Vertrauen schaffen.“

David Hugi
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